Schutzkonzept

Bild: BMFSMJ

Ist die Kirche ein sicherer Ort?

An keinem Ort sind wir sicher! Nicht in der Familie, nicht in der Schule, nicht im Sportverein und nicht in der Kirche.

Die Jugendhilfe geht davon aus, dass statistisch gesehen in jeder Schulklasse ein oder zwei Schüler von sexuellem Missbrauch betroffen sind. Überall, wo sich Kinder und Jugendliche treffen, sind potentiell auch Täter*innen unterwegs.

Anders als früher werden Hinweise von Kindern und Jugendlichen heute grundsätzlich ernst genommen. Jeder Verein und jede Kirchengemeinde regelt in einem eigenen Schutzkonzept, wie mit Hinweisen auf sexualisierte Gewalt umgegangen wird und wer für welche Schritte verantwortlich ist. Diese Schutzkonzepte sind keine Garantie, dass bei uns nichts passiert. Aber wenn etwas passiert, dann soll es rauskommen, damit die Kette des Schweigens möglichst frühzeitig unterbrochen wird! Wir möchten alles dafür tun, dass unsere Kirchengemeinde zu einem sicheren Ort wird.

Was ist sexualisierte Gewalt?

Sexualisierte Gewalt ist der Oberbegriff für Taten und Worte mit sexuellem Bezug, die ohne Einwilligung oder Einwilligungsfähigkeit der betroffenen Person erfolgen. 

Auf den ersten Blick ist diese Definition einleuchtend, erweist sich in der Praxis aber als schwierig. Nicht alle Formen der sexualisierten Gewalt sind im rechtlichen Sinne strafbar. Wie gehen wir mit Verhaltensweisen um, die nicht offiziell verboten sind? Jeder Verein und jede Kirchengemeinde steht plötzlich in der Verantwortung, eigene Regeln zu erstellen, die über die die staatliche Norm hinaus gehen.

Staatlich verboten sind:

  • sexuelle Übergriffe gegenüber Erwachsenen (§ 177 StGB: alle sexuellen Handlungen, die gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person vorgenommen werden)
  • sexueller Missbrauch (§ 176 StGB) und schwerer sexueller Missbrauch von Kindern unter 14 Jahren (§ 176c StGB), darüber hinaus auch sexueller Missbrauch von Kindern ohne Körperkontakt (§ 176a StGB) sowie die Vorbereitung des sexuellen Missbrauchs von Kindern (§ 176b StGB)
  • sexueller Missbrauch von Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren (mit äußerst komplexen rechtlichen Regelungen, die zugleich das sexuelle Selbstbestimmungsrecht von Jugendlichen schützen sollen, vgl. Wikipedia)
  • sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen (§ 174 StGB)
  • Erwerb, Besitz oder Verbreitung von Kinderpornografie (§ 184b StGB) und Jugendpornografie (§ 184c StGB)
  • Anbahnung sexueller Kontakte über das Internet ("Cyber-Grooming") gegenüber Kindern bis 13 Jahre (§ 176 StGB)

Staatlich ungeregelt sind:

  • Anbahnung sexueller Kontakte über das Internet ("Cyber-Grooming") gegenüber Jugendlichen ab 14 Jahren
  • sexuelle Belästigung allein mit Worten (§ 184i StGB kennt die "sexuelle Belästigung" nur in Verbindung mit einer körperlichen Berührung; eine Beleidigung nach § 185 StGB ist eher selten gegeben; lediglich am Arbeitsplatz kann sexuelle Belästigung allein mit Worten als Verstoß gegen § 3 Abs. 4 AGG geahndet werden)
  • altersunangemessene Gesprächsthemen, sexualisierte Sprache, anzügliche Bemerkungen z.B. zum körperlichen Entwicklungsstand eines Kindes
  • private Kontakte zwischen Gruppenleitern und Schutzbefohlenen

Die staatlich nicht geregelten Fälle von sexualisierter Gewalt muss jeder Verein und jede Kirchengemeinde für sich selbst in Schutzkonzepten klären und durch Mitarbeiterkontrakte (Selbstverpflichtungen aller ehrenamtlichen und hauptamtlichen Mitarbeiter/innen) sicherstellen.

Was passiert bei einem Verdacht?

Bei einem Verdachtsfall auf sexualisierte Gewalt befolgen die ehrenamtlichen und hauptamtlichen Mitarbeiter*innen unserer Gemeinde den Interventionsplan des Kirchenkreises Leine-Solling. Der Interventionsplan hängt in jeder Kiche und in jedem Gruppenraum unserer Gemeinde aus.

Bild: Interventionsplan Leine-Solling

Der Interventionsplan wirkt auf den ersten Blick klar und präzise. Doch was geschieht, wenn die Vorwürfe nicht justiziabel sind? Dann können wir nur Sanktionen wegen der Verletzung unserer eigenen Statuten aussprechen. Auf Grund der privatrechtlich geschlossenen Mitarbeiterkontrakte können wir in diesem Fall eine*n Gruppenleiter*in aus dem Dienst in unserem Kirchenkreis entlassen. Darüber hinaus haben wir keine Handhabe. Solange bestimmte Taten staatlich nicht verboten ist, haben wir als Kirchen oder Jugendverbände keine andere Möglichkeit, als allein in unserem eigenen Zuständigkeitsbereich wachsam zu sein.

An wen kann ich mich außerhalb der Kirche wenden?

Für manche Menschen ist ein kirchlicher Mitarbeiter der erste Ansprechpartner, wenn sie einen Verdacht haben. Andere fühlen sich bei einer vertraulichen Telefon-Hotline besser aufgehoben. Das Bundesfamilienministerium und die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs haben zwei Beratungsportale eingerichtet:

Bild: www.hilfe-telefon-missbrauch.de

Woran erkenne ich sexualisierte Gewalt?

Es gibt kaum eindeutige Symptome!

  • Selten: körperliche Verletzungen, z.B. erkennbar im Genital- oder Analbereich, die direkt und „eindeutig“ auf sexuellen Missbrauch hinweisen.

Verhaltensänderungen können sein:

  • Ängstlichkeit oder Agrresivität
  • Leistungsabfall in der Schule, Konzentrationsschwäche
  • Rückzugstendenzen oder aggressives (sexualisiertes) Verhalten gegenüber anderen
  • psychosomatische Beschwerden (z.B. Kopf- oder Bauchschmerzen, Schlafstörungen, Hauterkrankungen)
  • selbstverletzendes Verhalten
  • anormales Essverhalten (ggf. extreme Ab- oder Zunahme)
  • übermäßiger Alkohol-, Drogen- oder Tablettenkonsum
  • Schule schwänzen
  • von zu Hause weglaufen (die richtige Entscheidung, doch wie reagiert das Umfeld?)

Alle diese Verhaltensänderungen können auch ganz andere Gründe haben. Daher gilt: Ruhe bewahren, ins Gespräch kommen, keine voreiligen Schlüsse ziehen! Hilfe und Beratung suchen!

Verhalten im Verdachtsfall

Kinder und Jugendliche, die sich auffällig verändern, brauchen Bezugspersonen, die sich ihnen zuwenden, unvoreingenommen nachfragen und Unterstützung anbieten. Wichtig ist ein aufmerksames Umfeld!

  • nichts auf eigene Faust unternehmen
  • keine direkte Konfrontation des mutmaßlichen Täters / der mutmaßlichen Täterin (Schutz des Opfers vor zusätzlichem Druck sowie Beweismittelschutz)
  • keine eigenen Ermittlungen zum Tathergang (wir sind nicht die Polizei)
  • keine eigenen Befragungen durchführen (es genügt eine undichte Stelle, und schon ist der/die Täter/in informiert)
  • keine überstürzten Aktionen, sondern den Verdacht an eine zuständige Stelle weitergeben (Verein, Kirche, Jugendamt, auch die Polizei kann beraten)
  • Ruhe bewahren, zuhören, Glauben schenken, Gehörtes notieren, sich selbst Unterstützung holen

Wer einmal in einen konkreten Verdachtsfall hinein gerät, der wird sich auch die Frage nach der Glaubwürdigkeit der betroffenen Kinder bzw. Jugendlichen stellen. Selbstverständlich gibt es auch unter Kindern und Jugendlichen falsche Anschuldigungen gegenüber anderen Personen. Jedoch ist es statistisch gesehen oft auch eine Täter*innnen-Strategie, Kinder oder Jugendliche mit geringer Glaubwürdigkeit auszuwählen. Die Frage nach der Glaubwürdigkeit ist deshalb nicht zielführend. Die zuständigen Stellen übernehmen die Plausibitätsprüfung und ggf. die Beweissicherung. Wir leben in einem Rechtsstaat, das gilt auch und gerade in diesem sensiblen Themenbereich. Es liegt nicht an uns, die Glaubwürdigkeit der Aussagen zu beurteilen. Dafür gibt es Profis im weiteren Verlauf des Verfahrens.

Bild: www.nicht-wegschieben.de

Danke!

Vielen Dank, dass Sie diese Seite bis hierhin durchgelesen haben! Die Seite entstand im Anschluss an einen Info-Abend in unserer Gemeinde im Januar 2024. Bei Fragen und Anregungen sprechen Sie uns gerne an: